Erntedank 2021
Interview: Im harten Einsatz für die Ernte
Der vorläufige Erntebericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigt beeindruckende Zahlen für 2021: Erwartet werden beispielsweise 42,1 Mio. Tonnen Getreide. Allerdings ist aufgrund von zu viel Nässe die Erntemenge bei vielen Feldfrüchten etwas geringer ausgefallen. Auch die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat Spuren hinterlassen. Höfe wurden zerstört, Felder überspült - und das Futter für Pferde und Kühe wurde zum Teil mitgerissen. Doch Landwirte und weitere Helfer aus anderen Regionen Deutschlands sind den Betroffenen im Krisengebiet zur Seite gestanden: Sie haben Stroh und Heu dorthin gebracht. Trotz aller Widrigkeiten gibt es Hoffnung für die Winzer im Ahrtal, wie Dr. Maren Heincke, Referentin für Stadt- und Landentwicklung im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, berichtet: „Es wird einen Ahrtal-Wein 2021 geben.“
Im Bereich der Landwirtschaft verändert sich vieles, das spüren auch die Verbraucherinnen und Verbraucher: An der Obst- und Gemüsetheke registrieren sie einen Preisanstieg. Der Erntedanktag am 3. Oktober 2021 ruft danach, über Ursachen und Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. Über ihre Perspektiven sprechen die evangelische Agrarexpertin Dr. Maren Heinke und Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, Referent für Umweltfragen, ebenfalls auch dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung.
Was geht Ihnen im Hinblick auf den Erntedanktag 2021 durch den Kopf?
Hubert Meisinger: Zuerst kommt mir die Flut in Rheinland-Pfalz in den Kopf, die so viel zerstört hat. Da ist Klage genauso berechtigt wie Dank. Allerdings ist es auch in gewissem Rahmen eine Selbst(an)klage mit Blick auf den menschengemachten Klimawandel.
Welche Auswirkungen hatte die Flutkatastrophe für die Landwirtinnen und Landwirte?
Maren Heincke: Was sehr ermutigend ist: Bloß zwei Monate nach der Flutkatastrophe haben viele Winzer im Ahrtal trotz aller Widrigkeiten mit der Weinlese beginnen können. Die höher gelegenen Weinberge blieben ja von den Wassermassen verschont. Unzählige freiwillige Helfer haben die Schuttberge mit aufgeräumt und funktionsfähiges Material auf den Betrieben gerettet. Die Winzer haben sich untereinander für die Ernte und Verarbeitung der Trauben organisiert. Es wird einen Ahrtal-Wein 2021 geben. Trotz der entfesselten Naturgewalten.
Was mich bei der ganzen Katastrophe wirklich erschüttert, ist das menschliche Leid. Die sehr hohe Anzahl an Toten und Verletzten. Die vielen alten Menschen, die jetzt entwurzelt sind. Die Kinder und Jugendlichen, die nach den langen Corona-Einschnitten nun mit weiteren schweren Herausforderungen fertig werden müssen. Die Entscheidungsträger, die sich fragen lassen müssen, ob sie ihrer Verantwortung gerecht wurden oder zu viele Warnzeichen übersahen. Sehr hoffnungsfroh stimmt mich die sehr hohe Hilfsbereitschaft und Solidarität der Menschen.
Wozu möchten Sie die Menschen gerne am Erntedanktag anregen?
Maren Heincke: Nutze die Zeit. Sieh hin. Auf die von uns verursachten Wunden. Auf die Schönheit und Lebendigkeit der Welt.
Hubert Meisinger: Menschen sollten bewusster und achtsamer mit den Quellen umgehen, von denen wir leben: Das, was uns die nichtmenschliche Natur natürlicherweise bereitstellt zum Leben, und das, was wir kultureller weise darin anbauen und ernten.
Was bedeutet Erntedank 2021 für Sie?
Maren Heincke: An Erntedank werde ich versuchen, dankbar für das Wertvolle im Leben zu sein. Aber gleichzeitig auch die Brüchigkeit des Lebens und die Angewiesenheit auf Gottes Segen mir bewusstmachen.
Hubert Meisinger: Bei allen Unwägbarkeiten des Lebens können wir doch immer wieder Dank sagen für die Schöpfung Gottes insgesamt, zu der wir selbst gehören und deren Pflege und Gedeihen nur zum Teil in unseren Händen liegt. Daher richtet sich der Dank an diesem Tag nicht nur an die fleißigen Hände, die unser tägliches Brot herstellen, sondern auch an Gott als Schöpfer und Erhalterin dieser Welt.
In diesem Jahr fällt Erntedank auf den 3. Oktober. Deshalb sehe ich auch eine Verbindung zwischen dem Erntedankfest und dem Tag der Deutschen Einheit. Sie zeigt, dass wir aus Veränderungsprozessen in anderen, auch politischen Bereichen lernen können - mit Blick auf Veränderungsprozesse, die in der Landwirtschaft anstehen werden: Mehr Dürren, aber auch mehr Starkregen müssen bewältigt werden. Pflanzen, die besser an neue klimatische Bedingungen angepasst sind, müssen gefunden und gepflanzt werden.
Dem geernteten Gemüse und Obst begegnen viele Menschen vor allem im Supermarkt. Aber der Blick auf das Preisschild verrät: Seit über einem Jahr belastet der Kauf von Ernteprodukten zunehmend das Portemonnaie. Warum ist das so?
Maren Heincke: Für die deutlichen Preissteigerungen bei Obst und Gemüse gibt es mehrere Ursachen. Im April und Mai war der Preissprung besonders groß bei Importwaren aus Spanien, Frankreich und Italien. In den dortigen Obst- und Gemüseanbauregionen gab es Extremwetter. Durch die Corona-Krise war der Warentransport innerhalb der EU erschwert. In Deutschland machte sich der Mangel an osteuropäischen Erntehelfern sowie die Corona-Arbeitsauflagen deutlich bemerkbar. Hinzu kommen jetzt im Herbst weitere Inflationsfaktoren wie die steigenden Energiepreise, die automatisch auch die Lebensmittelpreise mit hochtreiben.
Im Gegensatz zu den pflanzlichen Lebensmitteln sind die Preise für tierische Lebensmittel in diesem Jahr z. T. sogar gesunken. Z. B. beim Schweinefleisch, weil es ein starkes Überangebot samt „Schweinestau“ im Stall gab. Die deutschen Schweinefleischexporte nach China sind u. a. wegen des Ausbruches der afrikanischen Schweinepest in Deutschland stark zurückgegangen.
Was könnte stärkere Preisschwankungen mildern?
Maren Heincke: Die Weltagrarmärkte sind heute oft sehr eng miteinander verknüpft. Aus meiner Sicht benötigen wir beides: eine funktionierende regional angepasste Landwirtschaft in allen Weltgegenden sowie zusätzlich den internationalen Agrarhandel als Sicherheitsnetz.
Hat auch der Klimawandel mit den steigenden Preisen zu tun?
Maren Heincke: Im Einzeljahr reden wir vom Wetterereignissen, welche alljährlich stark schwanken können. Erst durch die statistische Auswertung der Wetterdaten über Zeiträume von ungefähr drei Jahrzehnten lassen sich solide Aussagen über Klimaveränderungen machen. Was klar ist: Der Klimawandel ist real, neben der Verminderung der klimaschädigenden Emissionen sind deshalb umgreifende Anpassungsstrategien notwendig.
Wie verändert sich die Landwirtschaft aufgrund des Klimawandels?
Maren Heincke: Die deutsche Landwirtschaft befindet sich seit vielen Jahren bereits mitten im Prozess der Klimawandelanpassung. Andere Pflanzensorten werden gewählt, neue Schädlinge tauchen auf, die Wasserspeicherung der Böden wird wichtiger, verfrühte Blühphasen der Obstbäume werden öfter von Spätfrösten oder Hagel zerstört etc..
In der EU wird diskutiert, wie lange überhaupt noch die wichtigen Gemüse- und Obstexporteure Spanien und Italien ihre Produktion bei stark zunehmender Hitze und extremen Wassermangel im Mittelmeerraum aufrechterhalten können.
Insgesamt betrifft der Klimawandel weltweit alle Landwirtschaftssysteme – aber in unterschiedlichem Ausmaß. In den Ländern des Südens sind die Anpassungsmöglichkeiten oft gering und damit die Ausfallrisiken für Ernten besonders hoch.
Die Welternährungssituation hat sich in diesem Jahr aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie, Klimawandel, Kriegen etc. leider weiter verschlechtert. Die Anzahl der chronisch unterernährten Menschen ist stark gestiegen. Kinder und Frauen trifft der Hunger besonders stark.
Was jede:r Einzelne unternehmen kann, um damit auch die nächste Generation sich über üppige Ernten freuen kann, hat Maren Heincke hier zusammen gestellt:
Ernten für die nächsten Generationen – was jeder tun kann